Universitätsmitarbeiter in Litauen
Maik Huettinger ist nicht der typische Auswanderer. Ihn hat es zunächst durch sein Studium nach Osteuropa gezogen. Im Interview berichtet er, wie es sich in Litauen lebt und warum er dort geblieben ist.
Was hat Sie ins Ausland gezogen und was hält Sie dort?
Vorab muss ich sagen, dass es sich bei mir nicht direkt um eine geplante Auswanderung gehandelt hat. Um das Jahr 2000 war ich während eines Austauschjahrs als Student in Krakau. 2003 habe ich dann nach meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre mein Doktorat in Polen begonnen und bin 2005 mit einem Stipendium (Forschung im Baltikum) nach Litauen gekommen. Osteuropa selbst habe ich mir vorab als Tourist des Öfteren angeschaut und es hat mich einfach gereizt. Nun bin ich seit zehn Jahren in Litauen. Zunächst habe ich Forschungsarbeiten betrieben und arbeite jetzt an einer Privatuniversität mit norwegischen Wurzeln.
Das Tolle an Osteuropa ist die Transformation. Hier ändert sich einfach vieles sehr schnell. In Deutschland können Sie zehn Jahre nicht in einer Stadt gewesen sein und es hat sich nichts verändert. Und die osteuropäische Mentalität passt generell irgendwie zu mir. Hier kümmert es keinen, was der andere macht, solange man die Freiheit des anderen nicht beeinträchtigt. Das macht das Leben hier sehr frei und offen. Ein Beispiel: In anderen Ländern, wie Kanada, wird Kindern beigebracht, dass jeder seine Individualität ausleben soll – in Deutschland ist es gewünscht, dass man sich anpasst. Ich bin da eher individualistisch geprägt und fühle mich deshalb in Litauen sehr wohl.
Haben Sie schon mal an eine Rückkehr nach Deutschland gedacht?
Konkrete Pläne mache ich fast nie. Nach jedem Winter – die hier sehr kalt, lang und vor allem dunkel sind – überlege ich, woanders hinzugehen. Aber bislang habe ich kein besseres Land gefunden, das mich überzeugt hat. Und die Sommer sind hingegen auch sehr schön.
Eine Rückkehr nach Deutschland? Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber mir persönlich gefällt es, wenn ich die Menschen rein sprachlich gesehen nicht verstehe. Das ist immer ein sehr komisches Gefühl, wenn ich einen Besuch in Deutschland mache und plötzlich alles um mich herum verstehe. Da auch meine Familie und Freunde weit verstreut sind, müssten es schon besondere Gründe sein, die mich nach Deutschland zurückbringen. Bei einem tollen Jobangebot und einer Arbeitslosigkeit in Litauen würde ich es mir sicher überlegen.
Sie sprechen kein Litauisch?
Schon damals in Polen war ich zwar offizieller polnischer Doktorand, aber sowohl das Studium zuvor als auch das Doktorat konnte ich auf Englisch absolvieren. Polnisch und Litauisch spreche ich nicht. Es ist eine schwere Sprache und die Litauer können sehr gut Englisch. Auch mit Russisch kommt man im Alltag zurecht. Natürlich gibt es ältere Leute, die kein Englisch sprechen, aber bspw. bei Behörden traf ich immer auf englischsprachige Mitarbeiter. Nach einiger Zeit kennt man zudem viele Alltagsgegenstände und weiß, was bestimmte Worte bedeuten. Und die moderne Technik hilft auch sehr. Mit Apps können Sie heutzutage ganz einfach Worte per Foto übersetzen lassen.
Wie gehen Litauer allgemein auf Einwanderer zu?
Ein Nachteil ist sicher die Verschlossenheit der Menschen. Der Nationalismus ist hier sehr stark ausgeprägt. Man wird als Ausländer nicht diskriminiert, aber Litauer bleiben lieber unter sich.
Ist es also schwer, Anschluss zu finden?
Es gibt hier einen deutschen Stammtisch (www.stammtisch.lt) - sowas kann helfen. Ich selbst bin aber meistens mit Litauern zusammen, die viele Jahre im Ausland gelebt haben. Diese sind vom Verhalten anders.
Was hätten Sie gerne aus Deutschland mitgenommen?
Ein paar deutsche Tugenden „fehlen“ mir hier schon. Ein bisschen mehr Effizienz, Organisation und Struktur in der Arbeitsweise wäre toll. Sowas wird im Ausland sehr geschätzt. Eins gilt es aber zu beachten: In Litauen wird nicht direkt kommuniziert. Da entstehen oftmals Probleme im Management und in der täglichen Kommunikation. Dennoch gebe ich den Tipp: Ausländer sollten sich auf keinen Fall zu sehr anpassen. Wenn Sie hier eingestellt werden, dann weil Sie Deutscher sind und nicht weil Sie wie ein Litauer sind. Lassen Sie sich nicht zu sehr verbiegen. Denn Ihre Individualität ist gefragt.
Apropos Arbeitsmarkt: Wie kommen Sie mit Ihrem Gehalt in Litauen zurecht?
Es gibt in Litauen eine hohe Armutsrate. Nach der Wende wurden die Führungspositionen nahezu vollständig mit neuen, jungen Fachkräften besetzt. Die älteren mussten dann schauen, wie sie über die Runden kommen. Als litauischer Rentner ist das Leben nicht einfach. Ich selbst erhalte ein ganz normales litauisches Gehalt, das aber etwas höher ist als an einer staatlichen Universität.
Die Lebenshaltungskosten sind ansonsten gar nicht so niedrig, wie viele denken. Lebensmittel und Alkohol sind deutlich teurer als in Deutschland. Im Restaurant zahlen Sie hingegen weniger – aber je nach Qualität werden aber auch Spitzenpreise wie in deutschen Großstädten verlangt.
Ähnlich verhält es sich bei den Wohnkosten. In Litauen möchten viele nicht zur Miete wohnen. Daher ist die Nachfrage nach Immobilien sehr hoch und entsprechend steigen die Preise. Für eine moderne Wohnung in guter Lage zahlt man ähnlich viel wie bspw. in Nürnberg.
Würden Sie Familien Litauen empfehlen?
Wenn Sie die Schulbildung meinen, muss man zwei Punkte unterscheiden: Ausländer, die nach Litauen kommen, schicken ihre Kinder meist auf Privatschulen. Diese sind erstklassig und meist weit über dem Standard deutscher öffentlicher Schulen. Die staatlichen Schulen in Litauen sind hingegen vom Niveau her sehr unterschiedlich. Die mathematische Ausbildung ist meiner Meinung nach hier allgemein etwas besser – im Schnitt ist die Schulbildung in Deutschland jedoch höher.
Das Problem liegt wie immer im monetären Bereich. Mit einem normalen litauischen Durchschnittslohn wird man sich keine Privatschulen leisten können. Jedoch sind die meisten Ausländer mit westeuropäischen Verträgen bei ihren Firmen angestellt. Teilweise werden die Schulen dann sogar von den Unternehmen bezahlt.
Wie empfinden Sie die soziale Absicherung?
Was das angeht, kann ich nur für mich sprechen. In Litauen ist jeder pflichtversichert. Wer krank wird, geht zumeist zu Privatkliniken und bezahlt dort alles bar. Der Service und die Qualität der Behandlung sind in den Privatkliniken sehr gut und bei einem normalen Gesundheitszustand komme ich so immer noch günstiger weg als mit einer Versicherung in Deutschland. Für meine Absicherung im Alter sorge ich selbst privat vor.
Vielen Dank für das Interview. Abschließend: Ist Litauen ein Land für Auswanderer?
Schwierig. Entweder man wird von einem Unternehmen nach Litauen geschickt, dann spricht nichts gegen eine Auswanderung. Ansonsten ist es für Ausländer, die nicht perfekt litauisch sprechen, kompliziert in Litauen Karriere zu machen. Große Call Center stellen aufgrund der Deutschkenntnisse immer wieder Einwanderer ein, aber der Verdienst ist nicht besonders hoch. Persönlich kenne ich nur ganz wenige Fälle, die es hier auf eigene Faust geschafft haben.